Abt. Freiheit: Unternehmerische Freiheit

16.04.2014 12:25

Bodo ist ein freiheitsliebender Mensch, der an seine Fähigkeit glaubt, sich im Leben zu behaupten. Aber er war mit seiner Frittenbude pleite gegangen. Sein Schnellimbiss im Zoo hatte Konkurrenz von der Stadt bekommen. Genau gegenüber seines eigenen Geschäfts hatte die Stadt selbst einen sehr ansehnlichen und einladenden Imbiss eröffnet, den sie von einem kommunalen Angestellten betreiben ließ, dessen Gehalt aus Steuermitteln finanziert wurde. Die horrenden Standgebühren, die Bodo allmonatlich als Platzmiete an die Kommune abdrücken musste, fielen bei der städtischen Konkurrenz zudem nicht an und sie verkaufte die Portion Fritten für 60 Cent. Da hat es nicht lange gedauert, bis Bodo dicht machen musste.

Nachdem Bodo seine Bude abgebaut und wegtransportiert hatte und alle noch offenen Lieferantenrechnungen beglichen waren, stellte er fest, dass ihm außer seinem Auto eigentlich nichts mehr geblieben war. Aber Bodo glaubte an sich. Sein Geschäft war schliesslich prima gelaufen bis zu dem Tag, an dem die städtische Konkurrenz eröffnet hatte. Und Bodo hatte auch sofort eine Idee, wie er weitermachen wollte. Sein Auto! Er hatte doch das Auto noch. Es war erst drei Jahre alt, verbrauchte wenig und bot viel Platz. Bodo würde einfach in die Personenbeförderung einsteigen und Leute zum Flughafen, zum Bahnhof oder sonst wo hin fahren. Dialysepatienten zur Blutwäsche, Krebspatienten zu ihren Bestrahlungsterminen und zur Chemotherapie. Bodo beschloß, künftig sein Geld mit dem Autofahren zu verdienen. 

So fuhr Bodo flugs zur Lokalzeitung, um ein Inserat aufzugeben. "Bodos Fahrdienst - zuverlässig und freundlich. Kurierfahrten. Patientenfahrten. Besorgungsfahrten. 24 Stunden am Tag zu erreichen". Telefonnummer dazu und fertig. Sollte funktionieren, dachte er. Es funktionierte auch. Gleich der erste Anruf war von einer Dame, die wissen wollte, ob Bodo sie im Zwei-Tages-Rhythmus die 15 Kilometer von sich zuhause zur Dialysestation und etliche Stunden später wieder zurück fahren könne. Ihre Krankenkasse würde das bezahlen. Bodo rieb sich die Hände. Das ließ sich ja prächtig an. 

Mit dem zweiten Anruf folgte aber bereits die Ernüchterung. Eine Amtsperson hing an der Strippe. Straßenverkehrsaufsicht beim Landratsamt. Bodo solle es sofort unterlassen, Fahrdienste anzubieten. Sein Fahrdienst sei konzessionspflichtig und dürfe ohne amtliche Genehmigung nicht stattfinden. Außerdem müsse er ein Gewerbe anmelden. Bei Zuwiderhandlung drohten hohe Strafen. Als die Amtsperson wieder aufgelegt hatte, kochte Bodo vor Wut. Da wollte er für sich selbst sorgen - und dann legte man ihm Steine in den Weg. Drecksbürokratie. Bodo machte sich also schlau. Welche Voraussetzungen musste er erfüllen, um sich in seinem Heimatland selbständig zu ernähren? - Ihm gingen die Augen über.

Als erstes lernte er, dass sein Führerschein gar nicht ausreicht, um gewerblich Personen transportieren zu dürfen. Er brauchte einen Personenbeförderungsschein. Um den zu bekommen, musste er sich medizinisch untersuchen lassen, teure Atteste bezahlen und diese bei der Führerscheinstelle einreichen. Wenn die Führerscheinstelle dann davon überzeugt war, dass er gut sieht, sein Blutdruck stimmt, seine Reaktionszeiten passen und seine Augen-Hand-Fuß-Koordination funktioniert, er keine Drogen nimmt - und wenn das mit einzureichende, ebenfalls kostenpflichtige Führungszeugnis bescheinigt, dass er nicht kriminell ist, dann würde er wahrscheinlich schon zwei bis drei Wochen später über einen Personenbeförderungsschein verfügen. Vorausgesetzt, sein Auszug aus dem Bundeszentralregister in Flensburg war in Ordnung. Der kostete auch nochmal.

Bodo verstand das nicht. War das Leben von Personen, die ihn für den Transport ihres irdischen Leibes bezahlten, kostbarer als das von Leuten, die er aus Gefälligkeit irgendwo hin fuhr? Seine eigene Oma hatte er bisher anstandslos zum Einkaufen fahren dürfen. Sein ganz normaler Führerschein reichte dafür völlig aus. Bodo zuckte mit den Schultern und besorgte sich also einen Personenbeförderungsschein. 

Jetzt also noch zum Gewerbeamt und dann konnte es losgehen. Dachte Bodo. Gewerbe anmelden und das wäre dann sowas wie die Konzession. Eine Konzession ist ja eine Erlaubnis. Das wusste Bodo schon. Wenn sie ihm also erlauben, ein Gewerbe anzumelden, dann würde er logischerweise die Genehmigung haben, es auch auszuüben. Ich sagte schon, dass Bodo ein freundlicher, optimistischer Mensch ist?

Als er beim Gewerbeamt auftauchte, um seinen Fahrdienst anzumelden, fragte man ihn zuerst nach seiner Konzession. Nein, die Gewerbeanmeldung sei keine Konzession, musste er erfahren. Konzessionen erteilt das Landratsamt. Vielleicht. Bodo wirkte etwas entnervt, als er zum Landratsamt fuhr, um sich so eine Konzession zu besorgen. Dort musste er erfahren, dass eine Konzessionsvergabe eine sehr hoheitliche Angelegenheit ist, an die strenge Voraussetzungen geknüpft sind.

Ob er denn die Fachkundeprüfung bei der Industrie- und Handelskammer erfolgreich absolviert und eine Prüfungsurkunde vorlegen könne, wollte man von Bodo wissen. Was für eine Fachkundeprüfung? Er müsse nachweisen, dass er sich im Personenbeförderungsrecht -, in Betriebs- und Buchführung - und im Straßenverkehrsrecht auskenne. Die IHK böte dreiwöchige Kurse an, die auf die Prüfung vorbereiten. Er könne aber die Prüfung auch ohne vorherige Kursteilnahme ablegen. Der Kurs sei zwar ein bisschen teuer, lohne sich aber, weil die Durchfallerquote bei der Prüfung zufälligerweise gerade bei denen um die 80 Prozent erreiche, die vorher den Kurs nicht gebucht hatten. Bodo argwöhnte, dass das Abzocke sein könnte, verkniff sich aber einen Kommentar. Zeit zum Lernen hatte er. Der nächste Prüfungstermin war erst in drei Monaten. Vorher gab es also keine Konzession für seinen Fahrdienst. Allmählich wurde es eng mit dem Geld.

Bodo lernte drei Monate lang alles über Steuern, Vorsteuern, Vorsteuerabzug, Buchführung und Buchführungspflichten, Beförderungs- und Tarifpflichten, Fahrgastrechte - und weil er ein schlauer Kerl war, bestand er die Prüfung bei der IHK auch, ohne für teuer Geld den vorbereitenden Kurs besucht zu haben. Die Prüfung war schon teuer genug. Voller Stolz hielt Bodo also die Prüfungsurkunde in Händen, die ihn nun als staatlich geprüften Personenbeförderer auswies. Flugs fuhr er wieder zum Landratsamt, um sich nun endlich die Konzession erteilen zu lassen. 

So schnell ginge es nun aber auch nicht, beschied man ihn beim Landratsamt. Ob er denn eine Bescheinigung seiner Bank habe, dass ihm genügend Finanzmittel zur Verfügung stehen, um die Gründungsphase seiner Firma zu überstehen, wollte man nun von ihm wissen. Ob er denn genügend Betriebsmittel vorrätig habe, um den Wagen überhaupt betreiben zu können? Ob er Reifen und Motorenöl gelagert habe - und wenn ja, wo denn dieses Motorenöl gelagert sei und ob die Lagerung den Umweltschutzbestimmungen entspreche? Ob er denn schon eine Alarmanlage habe installieren lassen? Ob sein Wagen schon beim TÜV gewesen sei für die personenbeförderungsrechtliche technische Abnahme? Ob er denn schon einen Wegstreckenzähler eingebaut habe? Ob der auch schon geeicht sei? Ob er darüber eine Eichbescheinigung vorlegen könne? Ob er sich schon bei der Berufsgenossenschaft angemeldet habe? Ob er denn eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes vorweisen könne? Ob er einen Auszug aus dem Gewerbezentralregister vorlegen könne, das seine persönliche Zuverlässigkeit belege? Und wie es überhaupt mit einem neuerlichen Führungszeugnis aussehe? Ob er denn schon eine Versicherung für seinen gewerblich genutzten Wagen hätte, die Personenschäden bis zu 2 Mio. Euro abdeckt? Ob er das nachweisen könne? - Alles das solle Bodo erst einmal "zeitnah" vorbeibringen, damit man sich veranlasst sähe, wohlwollend zu prüfen, ob man ihm gestatten könne, selbständig als "freier Unternehmer" seinen Lebensunterhalt zu sichern. Auf Wiedersehen!

An diesem Abend besuchte Bodo Internetseiten, die sich mit Explosivstoffen, Bombenbau und Revolution beschäftigen. Aber nach drei weiteren Wochen hatte er alle die Bescheinigungen, die von ihm verlangt worden waren. Es waren drei äußerst umtriebige Wochen gewesen. 

Etwa ein dreiviertel Jahr, nachdem Bodo arglos zur Lokalzeitung gefahren war, um jenes sehr erfolgversprechende Inserat aufzugeben, hatte er endlich die Konzession. Sie war zunächst auf ein Jahr befristet worden. In zwölf Monaten würde er dem Landratsamt gegenüber erneut die Hosen herunterlassen müssen, um nachzuweisen, dass die Sicherheit des Betriebes gewährleistet ist und dass er wirtschaftlichen Erfolg hat. 

Bodo freute sich unbandig, dass er ab jetzt richtig viel Mineralölsteuern zahlen durfte, Berufsgenossenschaftsbeiträge löhnte, horrende Versicherungsprämien berappte und IHK-Zwangsmitgliedsgebühren entrichten durfte. Was ist das Leben doch schön in der freien Welt, in der ein unabhängiger, freier Mensch sich auch völlig frei entfalten kann. Sicher, er musste ein Auftragseingangsbuch führen, in dem er penibel zu vermerken hatte, wer wann über welches Medium für welche Zeit ihn wo genau hin bestellt hatte und wohin die Fahrt dann ging. Aber das sollte seine Freiheitsfreuden nun auch nicht mehr trüben.

Leute, ich schwöre: Dieses Land ist reif für den Abriss!