Abt. Märchen: Wie die Europäer einmal keinen Besuch von den unzufriedenen Negern bekommen wollten

08.10.2013 22:25

Es war einmal vor über viel mehr als hundert Jahren kurz vor Weihnachten, daß sich ein paar warmherzige Europäer überlegt haben, wie sie den Negern in Afrika und den anderen Unterentwickelten auf der Welt an den Segnungen der abendländischen Kultur - wie sagt man da heute? - "nachhaltige Teilhabe" bescheren könnten. Sie fackelten nicht lange, zogen los und besuchten die Unterentwickelten dieser Welt, um ihnen Geschenke zu bringen. Leider gab es unter den Negern und den anderen Unterentwickelten ein paar, die nicht wußten, was Dankbarkeit ist, worüber sich die warmherzigen Menschen aus Europa ein bißchen ärgerten. Aber nicht lange. Die Wilden begriffen schnell, warum Dankbarkeit gesünder ist, als Undank. Jedenfalls ...

In der Folge entstanden Kolonien, in denen die barmherzigen Europäer von der Dankbarkeit der Kolonialisierten ganz ohne Absicht ziemlich reich geworden sind. Und obwohl sie für ihren Reichtum gar nichts konnten, weil sich schließlich nur der Anstand der Beschenkten durchgesetzt hatte, fingen die Neger und die anderen Unterentwickelten an, den warmherzigen Barmherzigen aus Europa gegenüber eine gewisse Abneigung zu entwickeln.

Die Inder waren besonders undankbar, obwohl sie warmherzige Briten als Kolonialherren hatten, die sogar humorvoll gewesen sind. Der britische Humor galt als schwarzer Humor. Wahrscheinlich hatten ihn die Briten aus ihren afrikanischen Kolonien nach Indien importiert. Die Inder konnten trotzdem nicht über die Briten lachen. Das erstaunte die Briten und sie fragten konsterniert: "Hat ma Töne?" Die Antwort der Inder war: "Mahatma Gandhi!" Die Engländer wollten sich einen solchen Gandhi nicht bieten lassen und sagten den Indern, daß sie ihren Scheiß zukünftig alleine machen sollen. Dann fuhren sie beleidigt wieder heim oder in irgendwelche anderen Kolonien. Und schon wären wir wieder bei den Negern in Afrika. Jedenfalls ...

In Afrika waren blühende Kolonien entstanden. Staunend blickte die Welt dorthin. Es waren Berufe unter den Negern entstanden, die es bis dahin in Afrika gar nicht gegeben hatte. Sänftenträger zum Beispiel. Oder Minenarbeiter. Die Arbeitslosigkeit tendierte gegen Null und dennoch ließen auch die Neger in Afrika mit der Zeit die gebührende Dankbarkeit vermissen und empörten sich gegen die warmherzigen Europäer, die ihnen doch mit immer neuen Arbeitsideen die Langeweile aus ihrem unkolonialisierten Leben vertrieben hatten. Doch, das stimmt.

Exemplarisch für dieses warmherzige Bemühen ist hier Fitzcarraldo zu nennen, der den Unterentwickelten - zwar nicht in Afrika, aber im peruanischen Urwald - ein Opernhaus schenken wollte, was dort ebenfalls nicht zum gebührlichen Dank führte. Jedenfalls ...

Spätestens in den späten Siebzigern, anfangs der Achtziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts hatten die letzten warmherzigen Europäer die Schnauze voll vom Undank der unterentwickelten Welt, haben alles stehen und liegen lassen und sind wieder nach Europa zurückgefahren.

Keine vierzig Jahre später allerdings rieben sie sich verwundert die Augen. Die Neger aus Afrika reisten ihnen nach und wollten fortan in Europa selbst undankbar sein. Pitschnass krabbelten sie in Lampedusa aus dem Meer, liessen sich kurz von der Sonne trocknen und wollten dann weiter bis nach Deutschland oder England. Die Europäer aber hatten nun ihrerseits ihre Lektion gelernt und rannten eilends zu ihren Waffenschränken.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann schießen sie noch heute.