Sich dem Unbegreiflichen fügen

02.09.2013 15:51

Mein Beitrag zur Debatte um das Christentum in der Blauen Narzisse ...

 

Sich dem Unbegreiflichen fügen

von Max Erdinger


Der Konservative blickt in die Zukunft und will dabei das bewahren, was immer gilt. Immer gilt, daß des Menschen Verstand nicht ausreicht, um sich die sogenannten Sinnfragen allgemeingültig zu erklären. Immer gilt, daß der Mensch von Dingen redet, die er nicht begreifen kann.


Der Mensch ist beschränkt

Er redet von der Ewigkeit, ohne begreifen zu können, was Ewigkeit ist. Er redet von der Unendlichkeit, ohne sie selbst jemals zu erfahren, solange er noch davon reden kann. Alles im Leben ist durch einen Anfang und ein Ende gekennzeichnet. Vor allem das Leben selbst, in dessen Schranken der Denker gefangen ist. „Ich weiß, daß ich nichts weiß“, so Sokrates. „Man muß viel wissen, um zu erkennen, wie wenig man weiß“, erklärte einst Physik-​Nobelpreisträger Werner Heisenberg.

Der Konservative steht mit dieser Einsicht in der Gegenwart. Da es offensichtlich etwas gibt, das den eigenen Verstand übersteigt, verzichtet er darauf, diesen zum Maßstab der Welt zu machen. Er würde der Welt nicht gerecht werden. Deshalb fügt er sich nicht dem, was er begreifen kann, sondern dem Unbegreiflichen.


Die Utopie setzt menschlichen Verstand absolut

Das hat ganz praktische Konsequenzen: Der Konservative akzeptiert das Heute und überlegt – ausgehend davon, daß die menschliche Beschränktheit immer gilt – wie eine Zukunft aussehen könnte, in der das ewig Gültige berücksichtigt bleibt. Der Progressive hingegen hat ein Wunschbild der Zukunft, eine Utopie, von der aus er Rückschlüsse darauf zieht, wie das Leben heute zu sein hätte, damit die Utopie Wirklichkeit werde. Dazu setzt er seinen Verstand absolut.

„Der Mensch denkt und Gott lenkt“ ist mehr als ein frommer Spruch. Es ist die Einsicht, daß wir unser Schicksal nicht vorhersehen und nur innerhalb der Grenzen unserer Beschränktheit planen können. Ideologien ignorieren das. Ideologien sind menschgemachte Zivilreligionen auf Basis des Verstandes. Und sie scheitern zuverlässig: Kommunismus, Ökologismus, Pluralismus, Demokratismus – gescheitert. Erdbeben, Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche, Tornados und Tsunamis – nicht aufzuhalten. Es gilt daher auch: „Der Mensch dachte und Gott lachte.“


Die Zehn Gebote regeln bereits alles – eigentlich

Da es erwiesenermaßen realitätsfremd ist, den menschlichen Verstand absolut zu setzen, dieser Verstand jedoch gleichzeitig auch das einzige Mittel ist, sich alle Fragen an das Leben zu beantworten, ist es vernünftig, sich Regeln zu geben. Deren Hauptkriterium ist aber nicht die Nachvollziehbarkeit durch den Einzelnen. Gefragt sind solche, die dogmatisch sind.

Der Dekalog ist ein solches Regelwerk. Er ist sehr überschaubar, beinhaltet aber alles, was die Menschheit beachten sollte, um in Frieden und Freiheit miteinander leben zu können. Es sind auch nicht zehn Verbote, sondern zehn Gebote. Ihre Mißachtung führt nur dann, wenn sie hartnäckig und willentlich ignoriert werden, zur Bestrafung (Hölle).

Das Scheitern an ihnen und der unablässige Versuch, sich zu bessern, führen hingegen zu Vergebung. Vergebung ist der Schlüssel zum Frieden und Frieden die Voraussetzung für Freiheit. Ideologen ist Vergebung fremd. Sie vergeben ihren Gegnern nie, sondern trachten nach ihrer Eliminierung.


Die Konsequenz aus unserer Einsicht, daß wir nichts wissen können

Wenn nun feststeht, daß die Freiheit des Menschen in der Zivilreligion (Ideologie) unmöglich ist, da die Komponente der Vergebung nicht existiert, sondern nur die der Bestrafung, dann wird auch klar, daß es die Freiheit des Menschen nur vor Gott geben kann. Es kann sie nur dann geben, wenn der Mensch darauf verzichtet, seinen Verstand als Maßstab an die christliche Lehre anzulegen. Das Christentum ist sozusagen nichts anderes als die Überwindung der Konsequenzen aus der Einsicht, daß wir nichts wissen können.

Die Wissenschaft widerlegt allenfalls Details des christlichen Glaubens, keinesfalls aber die Notwendigkeit seiner Existenz. Für den Konservativen hat das Folgen in seinem Handeln: Wenn er die Freiheit will, dann muß er darauf bestehen, daß seine Heimat, seine Nation und am besten sein ganzer Kulturkreis so homogen bleibt, wie möglich.


Das Allgemeine zählt

Zumindest muß er darauf bestehen, daß seine Kultur, die auf christlichen Wurzeln gebaut ist, die maßgebliche bleibt. Wenn ich mich darauf verlassen kann, daß meine Mitmenschen versuchen, nach den zehn Geboten zu leben, dann brauche ich weniger Regeln, Vorschriften, Verbote und Gesetze im Detail. Wenn ich mich darauf verlassen kann, daß meine Mitmenschen aus freien Stücken eine kulturelle Grundüberzeugung teilen, dann brauche ich keine Kontrolle und keine Schnüffelei.

Der Konservative muß natürlich kein Theologe sein. Aber er muß erkannt haben, daß sich die europäische Kultur im Weltvergleich wegen des Christentums vergleichsweise gut behauptet hat. Wer nicht an das ewige Leben glaubt, wird kaum ein Segelschiff besteigen und Expeditionen unternehmen, deren Ausgänge ungewiß sind.


Also was ist jetzt mit dem Christentum?

Er wird nicht zum Mond fliegen. Er wird nicht austesten, wie schnell ein Jet tatsächlich fliegen kann. Ein Konservativer wird sich nie ein quietschbuntes Fahrradhelmchen aufsetzen, um mit dem Rad zum Einkaufen zu fahren. Derartig ängstliche Kleingeistigkeiten sind ihm fremd. Der Konservative weiß, daß er glauben muß, weil er nicht wissen kann. Der Konservative ist frei.

Um zur Grundfrage der Debatte zu kommen: Ist das Christentum etwa lächerlich? Nein. Die Fragestellung ist lächerlich. Das Christentum ist. Punkt. Etwas anderes ist lächerlich: Wenn Konservative anfangen, sich Gedanken über ihre Außenwirkung zu machen. Wenn sie anfangen, sich zu überlegen, wie sie „rüberkommen“ und wie sie wohl am besten rüberkämen, wenn sie nur Dieses oder Jenes nicht sagten.

Das ist deswegen lächerlich, weil sie damit das Pferd genauso von hinten aufzäumen, wie alle anderen Utopisten auch. Ausgehend von der Überlegung, was er morgen für eine Rolle spielen könnte, soll sich der Konservative Gedanken machen, wie er sich heute verstellen muß? Das kann keine gute Idee sein.

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