Wie ein Fisch im Wasser

01.06.2013 01:36

Text von mir in der Blauen Narzisse zur Wahl in Italien im Februar 2013

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Wie ein Fisch im Wasser
Mittwoch, 27 Februar 2013 10:32
von Max Erdinger


Italien hat seine vierundsechzigste Nachkriegsregierung gewählt. Und die ganze Welt fragt sich, warum jemand wie Silvio Berlusconi nur so stark zurückkommen konnte.

Die demokratische Republik Italien wurde vor 67 Jahren gegründet. In diesen Tagen wird die vierundsechzigste Nachkriegsregierung gewählt. All das wirft zuerst einmal die Frage auf, ob Italien jemals wirklich regiert worden ist. Der siebenmalige Ministerpräsident Giulio Andreotti von der untergegangenen Democrazia Cristiana gilt mit seinen 94 Jahren noch immer als Pate der italienischen Nachkriegspolitik. In Perugia wurde er 1999 vom Vorwurf freigesprochen, die Ermordung eines mißliebigen Journalisten in Auftrag gegeben zu haben.

Bettino Craxi, sozialistischer Premier, starb im tunesischen Exil. Wäre er nicht 1994 in weiser Voraussicht nach Afrika in sein Zweitdomizil bei Hammamet geflohen, hätte sein Leben vermutlich in einem italienischen Gefängnis geendet. Zwischen 1996 und 1999 wurde er in mehreren Strafverfahren zu insgesamt 28 Jahren Haft verurteilt, von denen er nicht einen Tag verbüßte. Im italienischen Parlament sitzen weit über hundert vorbestrafte Volksvertreter.


Padanier und „Erdfresser“

Die Mailänder gelten als dauerbeleidigt und hochnäsig, weil ihre Millionenstadt – ihrer Randlage wegen – nie italienische Hauptstadt geworden ist. Und das, obwohl sie seit Garibaldi mehr zum italienischen Bruttosozialprodukt beiträgt, als jede andere. Die Florentiner mögen die Sienesen nicht, die Lucchesi hassen die Pisaner und ganz Norditalien schaut auf die Landsleute im Mezzogiorno herab. Für die Norditaliener sind die Süditaliener samt und sonders terroni, zu Deutsch „Erdfresser“.

Nicht umsonst sind Spaghetti Bolognese mit Fleischsauce, Spaghetti Napoli aber mit Tomatensauce. Ihr Traumland nennen die Norditaliener Padanien. Sie stellen sich einen Staat vor, der den nutzlosen Süden, dieses Faß ohne Boden, losgeworden ist. Für Karrieren im öffentlichen Dienst ist nicht ausschlaggebend, was man kann, sondern wen man kennt. Das ist Italien, das Land, in dem sich ein Berlusconi bewegt wie ein Fisch im Wasser. Das ist das Land, in dem er groß geworden ist und in dem jeder weiß, was auch Berlusconi weiß: Man darf alles. Nur erwischen lassen darf man sich nicht.


Es gibt keine italienische Gesellschaft

Es wird immer wieder behauptet, Berlusconi spalte die italienische Gesellschaft. Niemand polarisiere so sehr, wie der Cavaliere. Diese Behauptung ist lächerlich. Es gibt keine italienische Gesellschaft! Es gibt lediglich die reichlich theoretische Idee von einer italienischen Gesellschaft. Nach wie vor ist die kleinste Einheit für die Italiener auch diejenige mit der größten Bedeutung. Je größer die Einheit, desto geringer die Wertschätzung. Erst kommt die Familie und die Verwandtschaft, dann der Stadtteil, dann die Stadt, dann die Region – und irgendwann mal der Staat.

Italiener mißtrauen ihrem Staat mehr als jede andere europäische Nation. Daß so viele Italiener ihren Berlusconi mögen, hängt unmittelbar mit all dem zusammen. Er ist zwar reich, aber er ist einer von ihnen. Er fühlt sich vom Staat genauso verfolgt, wie sehr viele seiner Landsleute, die unter dem schwerfälligsten aller europäischen Bürokratiemonstern zu leiden haben.


Unterhaltungswert als Polit-​Entertainer

Was die Italiener an Berlusconi lieben, das ist, daß er augenzwinkernd die Geschäfte betreibt, die in Italien keiner schätzt: Die Staatsgeschäfte. Er betreibt sie zu seinem eigenen Vorteil? Ja und? Würde es irgendwer anders machen? Hat es bisher jemand anders gemacht? Und wenn es jemand anders machen würde: Wie lange würde es dauern, bis herauskommt, daß er eben bloß so getan hat, als würde er es anders machen?

Viele Italiener sind Realisten. Sie fügen sich nolens volens dem Staat, aber sie lieben ihn nicht. Berlusconi liebt den Staat auch nicht, besonders dessen Justiz. Dafür lieben ihn die Italiener. Berlusconis Unterhaltungswert als Polit-​Entertainer gegen Brüssel, Deutschland und das Diktat der Politischen Korrektheit tut ein Übriges.

Man muß noch nicht mal sonderlich viel über die politische Agenda des Medienmoguls und Machos wissen, um zu erkennen, warum er so falsch nicht liegen kann. Man muß nur zur Kenntnis nehmen, wer am gehässigsten über ihn redet und am hysterischsten gegen ihn protestiert. Berlusconi raubt genau den Richtigen den allerletzten Nerv. Deshalb: Viva Berlusconi!